EVA BRENNER       | ZURÜCK |

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BIOGRAFIE
Regisseurin, Bühnenbildnerin, Filmschaffende, Autorin, Theaterwissenschaftlerin
Nach Engagements in Deutschland und der Schweiz Umzug nach New York City, dort Studium und Unterrichtstätigkeit von 1980 – 1993, Ph.D. an der New York University unter Richard Schechner (Heiner Müllers »Hamletmaschine«). Ab 1990/91 Leitung von PROJEKT THEATER / Wien-New York, einer internationalen Gruppe für Experimentaltheater und Performance mit Sitz in Wien. 1995 Gründung von ACT NOW/Theater Arbeit in Wien, 1998 Gründung des PROJEKT THEATER STUDIOs Wien. Seit 1994 Regiearbeiten in Österreich (ua. Wiener Festwochen, Stadttheater Klagenfurt, Schauspielhaus Wien); zuletzt »Es Weiss ja Jeder« von Ingeborg Bachmann, »POLA« von Hanna Krall, »SKANDALON : STILLE«, Performance mit Musik nach Werner Schwabs Handwerktexten, Literaturhaus Graz, Koproduktion mit »Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas« sowie PROJEKT THEATER STUDIO, Wien, »Auf diesem Dunkelnden Stern« mit Texten von Ingeborg Bachmann (UA, Dublin, Trinity College), Mai 2004, »FLEISCH_Rezitation 1«, Ko-Regie Herbst 2004, FLEISCHEREI, Wien. Frühjahr 2005 Regie für HERZ.angst, Performance nach Texten von Else-Lasker Schüler und Marlene streeruwitz, Herbst 2005 Aktivistin des Projekts »HERZ.stücke« nach späten Texten von Heiner Müller (zum 10. Todestag) – »10 Tage 10 Nächte wohnen&arbeiten non stop« in der FLEISCHEREI, gefolgt von der Regiearbeit für das 2. Projekt »ÖDIPUS_geschichten« des Heiner Müller-Jahres und die Österr. Erstaufführung des Ingeborg Bachmann Solo-Programms mit Maren Rahmann in der Hauptrolle, »Auf diesem dunkelnden Stern« (Palais Palffy, im Rahmen von »Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land » (zum 80. Geburtstag von Ingeborg Bachmann).


THEATER OF EMPOWERMENT
Theater der Interaktion & Emanzipation

MISSION STATEMENT
für ein sozio-theatrales Arbeitsmodell in Wiens Innenstadtbezirken
PROJEKT THEATER STUDIO phase 2 in der FLEISCHEREI
© FLEISCHEREI – Eva Brenner/Andreas Pamperl, Mai/Juni 2006


»Wir müssen die zukünftige Organisation aller Lebensbereiche auf den Menschen
hin ausrichten. Der Mensch muss im Mittelpunkt der Betrachtung stehen,
und nicht mehr wie gegenwärtig, die Wirtschaftskräfte alleine – isoliert.«
- Joseph Beuys. Jeder Mensch ein Künstler



Das Theater braucht neue soziale, nicht rein ästhetische Räume!

Die FLEISCHEREI – ein Ladenlokal aus der vorletzten Jahrhundertwende mit großen Schaufenstern zur Straße – ist ein neuer theatraler Lern- und Handlungsraum, der sich anhand brisanter Themen und neuer (Stück)Texte der Entwicklung zeitgemäßer sozio-theatraler Modelle für die Innenstadtbezirke Wiens verschrieben hat. Dies geschieht in direkter Antwort auf Folgen der Globalisierung und neoliberale »Strukturanpassungsprogramme« mit sozialer und kultureller Prekarisierung in allen Gesellschaftsbereichen, nicht unwesentlich auch der rasende Auseinadnerfall von Kunst- und Kulturindustrie und Rezeption. Diese Dilemma zwingt gesellschaftsbewussten KünstlerInnen neue Fragestellungen und neue Antworten auf – z.B. die Frage danach, für wen wie warum weiter Theater gemacht wird, wenn der Großteil der Bevölkerung daran keinen Anteil mehr nimmt. Damit ist jenseits der Frage nach der Macht der Medien als zulässiges Feindbild, sehr wohl auch die Frage nach der zukünftigen Daseinsberechtigung des Theater gestellt. Unabhängig von marktorientierten Kriterien und purer Standortpolitik, welche die postmoderne Festivalisierung und damit Entwurzelung von Kunst und Kultur prägen, muss auf der andere Seite des Spektrums die Frage nach der Beziehung zwischen zeitgenössischer Kunst und weltweiten zivilgesellschaftlichen Bewegungen erlaubt sein, die aktiv Auswege aus der Zivilisationskrise suchen.

Mit diesen und verwandten Fragen beschäftigt sich auch das interdisziplinäre künstlerische Team der FLEISCHEREI, das sich seit 2004 auf der Suche nach Bedingungen eines neuen »Volkstheaters« begeben hat und neuartige Konzepte für sozio-theatrale Theorie und Praxis entwickelt. Damit soll vor allem gegen die (ökonomische, soziale und kulturelle) Entleerung innerstädtischer Räume protestiert werden und neue lokale Zusammenhänge und Gemeinschaften mit ermöglicht und/oder unterstützt werden. Das Konzept beruht auf einem »erweiterten Theaterbegriff« und fokussiert Prozesshaftigkeit, Forschung und Entwicklung zur Schaffung Bedürfnis-orientierter kommunaler Begegnungsorte für ein neues, nicht-Theater-gewohntes Publikum. Insofern verstehen sich die Experimente der FLEISCHEREI als »Brückenschlag«, d.h. als Beitrag zur Vernetzung und Etablierung pluralistischer Kommunikationszentren nach dem Prinzip »künstlerischer Nahversorgung«., die es in den nächsten Jahren an vielen Orten zu entwickeln gilt. Die lokale Verortung experimenteller und avantgardistischer Theaterarbeit folgt – am Fallbeispiel des 7. Bezirks und anhand diversifizierter »Pilotprojekte« – dem Credo eines aktiven »community-buildings« zur Herausbildung einer neuen Alltagskultur, neuen Alltagspolitik und neuen Alltagsdemokratie, frei nach dem Motto »Jeder Mensch ein Künstler«... (Joseph Beuys) – KünstlerInnen und Publikum sollen ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände nehmen!


»Globalisierung ist die Bezeichnung für einen weltumspannenden Prozess der beschleunigten Veränderung des gesamten gesellschaftlichen und natürlichen Gefüges der Erde. Er erfuhr seine weltweite Ausdehnung bereits zu Beginn der Neuzeit (Kolonialisierung), führte zu immer katastrophaleren globalen Auswirkungen im 20. Jahrhundert und erlebt derzeit seine förmliche Überstürzung. Hauptmerkmale des Globalisierungsprozesses sind 1.) seine bewusste politische Herbeiführung (Neoliberalismus, Globalisierungspolitik) und 2.) seine aktuell entfesselte »Verselbständigung« (Zauberlehrlingseffekt), die oft als alternativlose »Naturgesetzlichkeit« erscheint oder ausgegeben wird (TINA – There is no Alternative – Syndrom).«
- Claudia von Werlhof. »Globalisierungswü(s)ten und Zivilisationspolitik»


Theater als notwendiges »Lebensmittel«

In der Überschreitung elitärer Kunstproduktion mit ihrem ästhetisch fundierten Kunstbegriff wird in der FLEISCHEREI ein neues Denken und Handeln im Sinne von zivilgesellschaftlicher »Ermächtigung« (Empowerment) begünstigt, das zugleich »tote« in »lebendige« Räume zurück verwandelt. Dem romantischen Kunstbegriff der Genies und Eliten sollen egalitäre Paradigmen »Neuer Kunst-Arbeit« gegenüber gesetzt werden, um mit Menschen im Bezirk, mit Zielgruppen und VertreterInnen sozialer Bewegungen interaktive Formen des kommunalen Austausches und der theatralen Aktion zu erforschen. Privilegiert werden Arbeitsweisen und Produktionsformen, die sowohl die Emanzipation von Theaterschaffenden als auch des Publikums vorantreiben und neue soziale und künstlerische Handlungsfelder eröffnen. Die Gestaltung des »Theaterraums« FLEISCHEREI als lebendiger Begegnungsort fernab jeder Aura der »Kunsttempel« wirkt gegen Funktionstrennungen von Arbeit, Kunst und Leben und bricht hierarchische Trennlinien zwischen KonsumentInnen und ProduzentInnen auf. Die lokale Verankerung künstlerischer Arbeit lebt von der/den Texten, Erinnerungen und Geschichte/n ansässiger Menschen aus verschiedenen Generationen, sozialen und ethnischen Herkünften. Bewusst sollen im Arbeitsprozess und bei Aufführungen – die sich als »Veröffentlichungen« und nicht Produkte sehen – Unsicherheitszonen zugelassen und aufgemacht werden um neue Fragen und Antworten zu provozieren. Schritt für Schritt soll das Fundament neuer ästhetischer Formen für ein Theater der Zukunft – das als »Lebensmittel« wieder so notwendig wie Essen und Trinken ist – aufgebaut werden.

Zu ersten Experimenten in der FLEISCHEREI und im öffentlichen Raum zählten die theatrale Prozession »FLEISCH_Rezitation« entlang der Burggasse mit Szenen im Gasthaus »Alderhof«, in leeren Schaufenstern und Geschäftslokalen zu den Themenkomplexen »Globalisierung« und »Mobbing am Arbeitsplatz« oder das 240-stündige Heiner Müller-Happening »10 Tage 10 Nächte non-stop wohnen&arbeiten« mit Performance, Musik, Kochen, Schlafen, Workshops & Diskussion zum 10. Todestag von Heiner Müller, das in nur wenigen Tagen über 1000 Menschen aller Altersgruppen, sozialer und ethnischer Provenienz anzog.

»Die Demokratie existiert nur dann wirklich, wenn alle, die die Gemeinschaft ausmachen, ihre innersten Wünsche frei und kollektiv, in der Autonomie ihrer persönlichen Sehnsüchte und in der Solidarität ihrer Koexistenz mit anderen, äußern können und wenn es ihnen gelingt, das, was sie als individuelle und kollektiven Sinn ihres Daseins erkennen, in Institutionen und Gesetze zu verwandeln.«
- Jean Ziegler. Die neuen Herrscher der Welt


Vom Füllen der Leerstellen

In den letzten Jahren unübersehbar gewordene geografische, soziale und kulturelle »Leerstellen« im öffentlichen Stadtraum (Geschäftesterben, Bau von Großparkgaragen, Festivalisierung und Vertreibung lokaler Initiativen) müssen neu definiert und mit innovativen kommunitären Kulturangeboten symbolisch neu besetzt werden. Die FLEISCHEREI als gemeinschaftlich organisierte Aktionsraum für »künstlerische Nahversorgung«, der nach dem Vorbild der guten alten »Greißlerei« von nebenan funktioniert, begegnet diesem Verlust öffentlichen Raums und schafft Alternativen zur wachsenden Zerstörung mikrosozialer urbaner Strukturen. Sozio-theatrale Experimente zielen auf die Aktivierung von Kunst und KünstlerInnen ab in dem Versuch, ein neues und sozial aktives Publikum – jenseits der gebildeten, oft saturierten 2-5% Kultur-interessierter Schichten – für zeitgenössisches Theater zu gewinnen. Die Forschung gilt der Erprobung diverser Produktionsformate aktiver Partizipation für ausgewählte Zielgruppen – von Arbeitslosen bis zu Jugendlichen oder älteren Menschen – in Projekten mit niedriger Eintrittschwelle, d.h. in allgemein zugänglichen lokalen Räumen und (primär) auf Spendenbasis. Die FLEISCHEREI soll ein brodelnder Ort im Geschehen der Stadt werden, der als »Nachbarschaftszentrum« seine Türen weit offen hält, über den man/frau spricht und wo man/frau gerne hinkommt und zurückkehrt.

Das Theater verlässt das Ghetto und bewegt sich in den öffentlichen Raum

Die für die Saison 20062007 geplanten Theaterprojekte verstehen sich als Fortsetzung des begonnenen Forschungsprojekts mit neuen Mitteln. Ab Herbst 2006 werden mit eigens für die FLEISCHEREI erstellten Texten von Charles Ofoedu (»Ich bin ein echter Wiener«) und Magda Woitzuck (»Schicksal«) sowie Auszügen aus Elfriede Jelineks Stück, »Das Werk« zwei neue Projektformate – theatrale Interventionen in soziale Alltagsrituale (Hochzeiten, Tanzstunden, Talkshows) – zu dem Thema »Migration&Integration« vorgestellt: FLEISCHEREI_mobil und MIGRATION mondays: »KITCHEN STORIES«. Damit wird einerseits der aktivistischen sozio-theatralen Dimension, andererseits dem sozialhistorischen Fundament des FLEISCHEREI-Konzepts Rechnung getragen: Bearbeitung der Geschichte/n beteiligter KünstlerInnen, Geschichte des Bezirks und Erbe historischer Brüche seit 1938, die bis heute weiterwirken, bis hin zu heutigen Migrationsbewegungen als Glutkerne künstlerischer Inspiration.

Die Basis bilden die seit Monaten erfolgreich laufenden Jour-Fixe Veranstaltungen der FLEISCHEREI jeden Montag Abend, die künftig unter dem Titel »MIGRATION mondays« stattfinden. Bei freiem Eintritt (pay as you wish) wird mit theatralisierten »Cooking Shows« das Thema »Migration&Integration« von SchauspielerInnen und MigrantInnen zur Diskussion gestellt. Die MigrantInnen kochen für die »community« eine Speise aus ihrer Heimat und werden gleichzeitig zu ihrer Migrationsgeschichte befragt, die von einer kollektiven Jelinek-Lesung umrahmt und von Zitaten über die Produktionsweise und Migration typischer Grundnahrungsmittel begleitet sind.

Als zweite Säule des Experiments werden unter dem Signum FLEISCHEREI_mobil theatralisierte Alltagsrituale mit künstlerischen Interventionen in Gasthäusern des 7., 8. und 16. Bezirks sowie weiteren »Außenstellen« (Strasse, Plätze, Schaufenster) in Szene gesetzt. Interkulturelle Hochzeiten zwischen ÖsterreicherInnen und AusländerInnen verschiedenster Herkünfte eröffnen dramatische Szenarien, um soziale und kultureller Konflikte lustvoll zu bearbeiten. Neben Profi-SchauspielerInnen agieren Menschen aus den Bezirken, die als Gäste geladen sind und divergente Positionen im Kräftespiel von Migration und Integration aufzeigen. Die theatralen Hochzeiten werden von drei KünstlerInnen des Kernteams der FLEISCHEREI mit migrantischem Hintergrund (Türkei, Nigeria, Singapur) kuratiert; die Dramaturgie wie auch die Szenen mit Laien werden von ihnen geleitet und in kurzfristig interaktiven Workshops – sowohl in der FLEISCHEREI als auch vor ort – gemeinsam entwickelt. Angewandte Arbeitsmethoden umfassen Techniken Raum-theatraler Improvisation wie der »Six Viewpoints of Performance«, des Forum- und Erzähltheaters und der site-specific Performance.

Für die Projektentwicklung von FLEISCHEREI_mobil und MIGRATION mondays: KITCHEN STORIES werden erstens neue PartnerInnen im 7. Bezirk und angrenzenden Bezirken gesucht (MigrantInnen, Gewerbetreibende, Gasthausbesitzer, soziale und kulturelle Initiativen) und zweitens die Räumlichkeiten der FLEISCHEREI in einer zweiten Ausbaustufe revitalisiert. Erstmals sollen die attraktiven Kellergewölbe für Proben, Musikkonzerte und kleinformatige Performances nutzbar gemacht werden.

Studie zur Entwicklung neuer sozio-theatraler Arbeitsprozesse

Die Neuverortung zeitgenössischer Theaterarbeit im lokalen Rahmen und in direktem Kontakt mit dem ansässigen Publikum erfordert von KünstlerInnen die Entwicklung eines neuen kommunal verankerten Kunst- wie Arbeitsbegriffs und von der Politik die Schaffung neuer, Ressort-übergreifender Modalitäten öffentlicher Förderung, die zur Integration der Mehrheitsbevölkerung in zeitgenössische Theaterprozesse führen. Diesen neuen Arbeitsmodellen muss ein präzise formuliertes Leitbild als Ergebnis einer fundierten Studie über Theorie und Praxis sozio-theatraler Arbeit in Wien zugrunde gelegt werden, das von einem interdisziplinären ExpertInnenteam (Kultur- und TheaterwissenschafterInnen, SoziologInnen, SozialarbeiterInnen sowie repräsentativen VertreterInnen von NOG’S und Stadtteilinitiativen) erarbeitet wird. Voraussetzungen sind die kritische Rezeption sozio-theatraler Theorien seit den 70er Jahren im In- und Ausland, um sie zu adaptieren und auf den aktuellen Stand zu bringen, sowie die konkrete Bedürfniserhebung in den »communities« durch Tiefeninterviews mit Betroffenen und Befragung lokaler Initiativen aus Bereichen der Gemeinwesenarbeit, Gebietsbetreuungen und von NGO’s, die sich mit MigrantInnen, Jugendlichen, Obdach- und Arbeitslosen sowie älteren Menschen und Behinderten beschäftigen.


»... man braucht das stärkste Fernrohr, das des geschliffenen utopischen Bewusstseins,
um gerade die nächste Nähe zu durchdringen.«
- Ernst Bloch